...Dem flüchtigen Betrachter täuscht die Serie „scizzo“ eine spontane, gestische, dem Informel der 50er Jahre verwandte Unmittelbarkeit vor, die sparsamen Spuren lassen wie in Sekundenschnelle hingeworfene Körperdetails und Landschaften erkennen. Der genauere Blick aber korrigiert diesen Eindruck, er nimmt die Eile aus dem Werk und macht einer beschaulichen Ruhe Platz, mit der erst der feinen Farbigkeit und maßvollen Rhythmik nachgespürt werden kann. Die kalligraphischen Schwünge werden nun als das Übriggebliebene, das Stehengelassene eines umsichtigen, präzisen und sensiblen Schneideprozesses erkannt, Spontaneität verliert hierbei ihre Flüchtigkeit, wird entschleunigt und verkehrt sich in Langmut und Zeitaufwendigkeit. Mit diesem Prozess der Reduktion konzentriert die Künstlerin ihr Sujet auf das Wesentliche, nun erscheint alles gemeint, nichts dem Zufall überlassen, jede feine Spur ist das Ergebnis einer Entscheidung und verlangt Beachtung und Deutung. Und das kluge Auge forscht und ergänzt jetzt besonders auch im bewusst Ausgesparten, in den Negativzonen. Linie und Fläche verschmelzen zu einer untrennbaren Einheit, lüften dabei ein wenig ihr abstraktes Geheimnis und geben nun auch Fragmente der uns vertrauten Dinge zu erkennen. Statt gestischer Willkür begegnet uns am Ende feines Maß und kompositorische Ausgewogenheit, die beim Betrachter die Bereitschaft auslösen, sich mit den verschlüsselten Inhalten zu befassen. Geheimnisse, die aus Klarheit entstehen, sind in den Öl-auf-Leinwand-Drucken von Astrid Clasen versteckt, deren reduzierte Formen wie filigrane Musik in den Bann ziehen. Linien, die sich frei durch die Fläche des Bildes zu bewegen scheinen, indem sie ihre Beziehungen untereinander ständig neu definieren – und die dennoch zu etwas, das bekannt scheint, sich fügen, vielmehr zu einer Andeutung davon. Die Freiheit, die solche Bilder dem Betrachter lassen, ist Bedingung für die Entdeckung dessen, was Astrid Clasen selbst als das bezeichnet, was „untergründig in den Motiven und in den Skizzen steckt“, aus denen sie die Bilder entwickelt. Die dabei erwachsende Vieldeutigkeit bleibt auch dann erhalten, wenn in einigen der Arbeiten ... Schriftzüge auftauchen – wobei offen bleibt, ob deren Rolle die eines rein grafischen Elements ist oder ob sie eine Aussage machen sollen. Weil die Worte nur Fragmente, also Reduktionen sind, öffnen sie die Pforten der Wahrnehmung, statt einen Sinn festzulegen ... Die Bilder Astrid Clasens stellen das Prinzip der Nuance gegen das der Überfülle; ihre Reduktionen setzen Genauigkeit, Präzision, Feinfühligkeit wieder in ihre Rechte. Thomas Janssen THE NEXT WALZE WWK Gartow - Symposion für Großholzschnitt 2009 - Druck mit einer Straßenwalze
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